Seit ich erfahren hatte, wann der EDS Fachtag in Bad Kissingen stattfinden würde, fragte ich mich, ob ich wohl teilnehmen konnte. Ich war bereits für das Internationale EDS Symposium in Gent / Belgien einige Tage später registriert und zwei Wochenenden nacheinander zu Veranstaltungen zu fliegen, war mit meinem Beruf und meiner Gesundheit eigentlich nicht vereinbar. Eigentlich. Denn als der große Umschlag mit der Einladung und dem geplanten Programm in meinem Briefkasten lag, wusste ich sofort: Da muss ich hin! Gesagt, getan.

Der Fachtag begann für mich am 21. September 2018 früh morgens kurz vor halb vier Uhr im südlichen Schleswig-Holstein. Es war noch stockdunkle Nacht, doch etwa eine Stunde später erhellte das plötzliche Licht eines Blitzers meine Fahrt zum Flughafen. Na super. Bald darauf brachte mich eine Boing 737 bei wolkenlosem Himmel und einem grandiosen Sonnenaufgang von Hamburg nach Nürnberg und ich beschloss, den im Tarif enthaltenen Kuchen auf die weitere Reise mitzunehmen und nicht bereits im Flugzeug zu verspeisen. In Nürnberg hatte ich mich bereits mit Anja B. auf einen Airport-Kaffee verabredet und meine Vorfreude war groß. Auch Anja war zum Fachtag unterwegs und hatte extra eine andere Bahn-Route gewählt, damit wir unsere Reise gemeinsam fortsetzen konnten. Wir kannten uns aus den üblichen Internetforen und hielten engen Kontakt, aber nun würden wir uns zum ersten Mal persönlich begegnen. Der Flughafen-Kaffee war äußerst schmackhaft – und äußerst kostenintensiv. Auch der Transfer mit der U-Bahn vom Flughafen zum Hauptbahnhof hatte einen stolzen Preis und ein kugelbäuchiger Mann im FC St. Pauli T-Shirt kommentierte dies mit einem ungläubigen Blick auf die Fahrpreisanzeige des Automaten. Unsere Weiterreise mit der Bahn war wegen unseres pausenlosen Geschnatters und herzlichen Lachens kurzweilig und äußerst angenehm. Einziger Wehrmutstropfen war der Verlust meines Flug-Kuchens, den ich wohl in der U-Bahn vergessen haben musste.

Am Bahnhof von Bad Kissingen legten wir eine leicht irritierte Pause ein. Wir waren irgendwo im Nirgendwo. Vorüberwehende Rollgrasbüschel und eine quietschende Saloontür hätten die Szene abgerundet. Nach einem recht gewöhnungsbedürftigen Bahnhofs-Kaffee und einer Busfahrt, die gemäß unserem Verständnis für den Fahrplanaushang eine halbe Stunde zu früh stattfand, erreichten wir nach knapp acht Stunden Reisezeit, aber in bester Stimmung, in den Mittagsstunden das Hotel am Veranstaltungsort. Zeit für einen weiteren Kaffee, diesmal einen, der seinen Namen auch verdiente. Wir nahmen im Café des Hotels Platz, das mit seiner Möblierung den Charme längst vergangener Jahrzehnte versprühte und mit großen Panoramafenstern einen Blick auf das hauseigene Schwimmbad bot. Entspannung machte sich breit. Wir waren angekommen.

Nachdem die Teilnehmer bei einem wirklich guten Abendessen und einer Begrüßung durch den Veranstalter zueinander fanden, ließen wir den Tag bei einem Glas Wein (oder Wasser, Tee, Pils) gemeinsam ausklingen, lernten uns kennen und tauschten uns bis tief in die Nacht aus. Es war ein gelungener Auftakt, doch ich freute mich auf mein Bett. Die geräumigen Hotelzimmer waren mit jeweils zwei Einzelbetten ausgestattet. In einem davon hatte ich es mir gerade gemütlich gemacht, als ich im Augenwinkel einen Schatten über den Fußboden in Richtung meines Bettes huschen sah. Es war ein Uhr nachts und die kommende halbe Stunde schwankte ich zwischen Verzweiflung und Müdigkeit. Ich war auf Spinnenjagd oder besser: Ich stand wie angewurzelt in meinem Zimmer und starrte auf die Stelle am Fußboden, an der ich das Wesen zuletzt gesehen hatte. Ein unangenehm großes Exemplar wollte sich das Zimmer mit mir teilen und setzte sich durch. Sie entschied sich für den Unterbau meines Bettes, sodass ich in das andere auswich. Es wurde eine unruhige restliche Nacht, aber wie durch ein Wunder überlebte ich.

Tag 2 war im voll besetzten Tagungsraum mit etwa 60 Plätzen von insgesamt drei medizinischen Fachvorträgen geprägt.

Einen sehr guten Einblick gab die Leiterin der ANS-Ambulanz am Universitätsklinikum RWTH Aachen über Funktionsstörungen des autonomen Nervensystems bei den Ehlers-Danlos-Syndromen sowie deren diagnostische Möglichkeiten und therapeutische Ansätze, z. B. beim posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS) oder der orthostatischen Hypotension, die meist auch mit vielen weiteren autonomen Symptomen einhergehen (z. B. veränderter Steuerung des Schwitzens, des Harndranges, der Bildung von Tränenflüssigkeit etc.).

Im zweiten Vortrag berichtete der Leiter der Spezialsprechstunde für seltene Erkrankungen mit oraler Beteiligung am Universitätsklinikum Münster über die Auswirkungen von verschiedenen seltenen Erkrankungen wie auch EDS auf den Mund-Kiefer-Gesichtsbereich und vermittelte anhand von Fallbeispielen anschaulich Behandlungsmöglichkeiten und Therapieerfolge von Fehlstellungen, Zahnverlust oder Zahnfehlanlagen. Er zeigte jedoch auch auf, welche Folgen Fehleinschätzungen oder Unwissenheit von (Zahn-)Ärzten über die Eigenschaften der Gesichts- oder Kieferstruktur und Gewebe bei seltenen Erkrankungen wie EDS haben können.

Der späte Nachmittag wurde mit dem Vortrag des Leiters der EMAH (Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern) / Marfan-Ambulanz am Universitätsklinikum Köln über kardiologische Aspekte bei den Ehlers-Danlos-Syndromen abgerundet. Auch seine Ausführungen ermöglichten mit Informationen aus Literatur und Forschung sowie einigen Fallbeispielen einen ausführlichen Einblick in die kardiovaskulären Symptombereiche, z. B. Gefäßerweiterungen, wie Dilatationen oder Aneurysmen, Insuffizienz oder Prolaps der Herzklappen, wie sie unter anderem mit Aorten- oder Herzklappenerkrankungen bei einem Marfan-Syndrom oder auch bei EDS beschrieben werden.

Den interessanten, aber durch das lange Sitzen und konzentrierte Zuhören auch anstrengenden Tag, nutzten einige Teilnehmer in der Mittagspause für einen Spaziergang zu der etwa 350 m vom Hotel entfernten Burg Botenlauben, die um 1180 errichtet wurde und seit etwa 500 Jahren als Ruine besteht. Vom Bergfried konnten wir einen wunderschönen Blick über Bad Kissingen genießen, bevor es zurück ins Hotel ging. Für meine Zimmerspinne nahm dieser Tag ein tragisches Ende, nachdem sie mich bei meiner Rückkehr ins Hotelzimmer direkt hinter der Tür erwartete. Mein Nachtschlaf war gerettet.

Tag 3 war Abreisetag. Eine mürrische Taxifahrerin brachte zwei weitere Teilnehmerinnen und mich als Drei-Personen-Reisegruppe vom Hotel zur Bahnstation. Da lag er wieder vor uns, dieser kleine stille Bahnhof, der nicht einmal durch die wenigen anwesenden Reisenden lebendiger erschien. Unsere Fahrgemeinschaft wurde mit der Einfahrt des Zuges getrennt, die Dritte im Bunde wartete auf eine spätere Fahrt und ich stieg erneut mit Anja in die Bahn, die uns zurück nach Nürnberg brachte. Dort, wo wir uns zwei Tage zuvor zum ersten Mal begegnet waren, ließen wir uns auch nun nieder und genossen den Flughafen-Kaffee. Kurz darauf setzte Anja ihren Weg nach Hause mit der Bahn fort und ich absolvierte den Sicherheitscheck, um anschließend am Gate auf meinen Flug zu warten … der aufgrund eines Sturmtiefs über Deutschland zu einer im wahrsten Sinne äußerst turbulenten Angelegenheit wurde. Immerhin erlaubte mir das Wetter noch, endlich meinen Flug-Kuchen zu probieren, der sich als schmackhaft erwies. Kurz darauf flog beinah mein Tetra-Pack mit stillem Wasser gegen die Kabinendecke, als die Turbinen aufheulten und das Flugzeug in das erste von vielen noch folgenden Luftlöchern stürzte.

Am frühen Abend landete ich ordentlich durchgeschüttelt, aber unversehrt, in Hamburg, befreite mein Auto von der 7. Ebene des großen runden Parkturms, den ich liebte, weil er einen herrlichen Blick auf den Flughafen bot und fuhr – diesmal mit der ausgeschilderten Geschwindigkeit – am Blitzer vorbei die restlichen Kilometer nach Hause.

Auf den EDS Fachtag 2018 blicke ich mit einem Schmunzeln zurück, denn wir haben gut gegessen, neue Kontakte geknüpft, interessante Gespräche geführt, herzlich miteinander gelacht und gute Fachvorträge gehört. Auch wenn ich in der EDS-Community schon einige Jahre aktiv bin, war dies mein erster Besuch einer solchen Veranstaltung und es wird bestimmt nicht die letzte gewesen sein.

P.S.: Auf die Teilnahme am Internationalen EDS-Symposium in Gent eine Woche später musste ich aus gesundheitlichen Gründen leider verzichten.

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